Versöhnungsmesse

DER WEG ZUR VERSÖHNUNG

Das kleine Dorf Kreisau in Niederschlesien wurde am 12. November 1989 Schauplatz eines symbolischen Neuanfangs in den Beziehungen zwischen Polen und Deutschen. Die Versöhnungsmesse, an der Tadeusz Mazowiecki, erster nichtkommunistischer Premierminister nach über 40 Jahren, sowie Helmut Kohl, wenig später Kanzler eines vereinigten Deutschlands, teilnahmen, ist als ein Gipfelpunkt im jahrzehntelangen Bemühen vieler gesellschaftlicher und politischer Akteure beider Seiten, nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges und unter den ungünstigen Bedingungen des Kalten Krieges, eine Annäherung zu erreichen. In ihrem Bemühen um Verständigung und Vergebung seien dabei an erster Stelle die polnischen Bischöfe genannt, die im Jahre 1965 einen Brief an ihre deutschen Amtsbrüder schickten, in dem sie vergaben und um Vergebung baten – eine unerhörte Aussage für die damaligen Machthaber in Polen. Erinnert sei auch an die Geste Willy Brandts, dem Kniefall am Mahnmal des Ghettoaufstandes in Warschau 1970 sowie an den Warschauer Vertrag, der Polen seitens der Bundesrepublik erstmals seine Westgrenze garantierte. Nicht zuletzt trugen die jahrelange Arbeit der „Aktion Sühnezeichen” in vielen Ländern des damaligen Ostblockes sowie die Vielzahl an zwischenmenschlichen Kontakten zu einer Besserung der Beziehungen zwischen Polen und Deutschen bei.

Das Spannende an dieser Geschichte ist nicht allein die Messe als Ereignis der deutsch-polnischen Versöhnung selbst, sondern gleichfalls deren Einbettung in die wechselvollen (welt-) politischen Ereignisse jener wenigen Tage im Jahre 1989. Für Kreisau bedeutete die Versöhnungsmesse einen Neuanfang hin zur Gründung der Stiftung Kreisau, die seit 20 Jahren erfolgreich im Bereich der internationalen Verständigung wirkt.

DAS WENDEJAHR 1989

Polen

Ebenso wie in der DDR und der Sowjetunion erwies sich auch die Wirtschaft der Volksrepublik Polen als leistungs- und konkurrenzunfähig. Mit der „Solidarność”, die sich im Jahre 1980 gründet hatte, erweiterte sich die Protestbewegung in Polen auf das ganze Land und erhielt dabei von Papst Johannes Paul II. weit mehr als nur eine moralische Rückendeckung. Ihre offizielle Anerkennung durch die polnischen Machthaber im selben Jahr zeigte einerseits, wie groß deren Angst vor weiteren Unruhen war, andererseits aber auch, welche Erfolge eine organisierte und mitgliederstarke Opposition haben konnte. Die Strahlkraft, die die Solidarność auf die Menschen in anderen Ländern des Ostblocks und für die Entstehung der dortigen Oppositionsgruppen hatte, ist unbestritten. Die spezifischen Bedingungen, die Ende der 80er Jahre in Polen vorherrschten, wie eine starke Opposition oder die Rolle der Kirche, führten, verbunden mit der Entspannungspolitik der Supermächte, Ende des Jahres 1988 zu den ersten Gesprächen zwischen den kommunistischen Machthabern und der Solidarność seit Beginn der 80er Jahre. Nach weiteren Treffen am sog. „Runden Tisch” folgten die ersten halb-freien Wahlen (4. Juni 1989), die mit dem überwältigenden Sieg der Opposition, den ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten nach dem Weltkrieg – Tadeusz Mazowiecki – hervorbrachten.

BRD – DDR

Während auf den Straßen Leipzigs und Berlins Tausende Menschen politische Reformen forderten, andere wiederum in Scharen aus der DDR flüchteten, sprach Erich Honecker am 7. Oktober 1989, anlässlich des 40. Jahrestages der DDR, vor allem von den wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften des Sozialismus, von der Stabilität des politischen Systems und dessen langfristigen Fortbestehen, obwohl die Wirtschaft und Finanzkraft seines Landes in einem desolaten Zustand und nur westdeutsche Kredite eine akute Wirtschaftskrise hinauszögerten. Trotz einzelner politischer Erfolge Erich Honeckers in den letzten Jahren seiner Regierungszeit, waren die durch die Perestroika-Politik Gorbatschows und die Reformen in Polen und Ungarn ausgelösten Erwartungen bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR in Enttäuschung umgeschlagen. Nur eine Woche nach der Rede Erich Honeckers zum 40. Jahrestag wurde dieser als Staatsratsvorsitzender der DDR und Generalsekretär des ZK der SED abgewählt und von Egon Krenz ersetzt. Das Nichteingreifen sowohl der auf dem DDR-Territorium stationierten sowjetischen Truppen als auch des Militärs der DDR, ließ die durch innere Reformkräfte getragene Revolution unblutig verlaufen. In der Nacht vom 09. zum 10. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Etwa ein Jahr später, am 03. Oktober 1990, endete die Eigenstaatlichkeit der Deutschen Demokratischen Republik mit ihrem Beitritt zur Bundesrepublik.

Die Welt

Das Jahr 1989 brachte jene politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen mit sich, nach denen sich die große Zahl der Menschen innerhalb des Ostblockes gesehnt und wofür die oppositionellen Kräfte jener Länder jahrzehntelang gekämpft hatten. Ereignisse, wie in Polen das erste Treffen am „Runden Tisch” zwischen Vertretern der „Solidarność”, der Kirchen und der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (27. Januar) oder der beginnende Abbau der ungarischen Grenzanlagen nach Österreich (2. Mai) kündeten von einer nunmehr möglichen Öffnung des „Eisernen Vorhangs” und einem Ende der Teilung Europas. Mit der sog. „Sinatra-Doktrin” („I did it my way”) im Oktober 1989 wurde den eh. Bruderstaaten seitens der Sowjetunion das Recht auf Selbstbestimmung über ihren zukünftigen politischen Weg gewährt.

Die Reaktionen der kommunistischen Machthaber auf diese rasante Entwicklung reichten von gewaltsamer Niederschlagung von Protesten und Demonstrationen – man denke an das brutale Vorgehen des chinesischen Militärs bei den Studentenunruhen im Juni 1989 oder an die vielen Opfer, die Rumänien im Dezember bei Demonstrationen zu beklagen hatte – über Erstarrtheit und unbeirrtem Festhalten am Althergebrachten, wie in der DDR, bis zu Zeichen der Verständigung und Annäherung zwischen Opposition und Machthabern.

WARUM KREISAU?

Die Konferenz „Christ in der Gesellschaft”

Kreisau war als Ort des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im sozialistischen Polen in Vergessenheit geraten, auch wenn sich einige Personen bemühten, ihn wieder in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Zu diesen Personen zählten Freya von Moltke, die Witwe des Widerständlers Helmuth James von Moltke sowie der seit den 70er Jahren wissenschaftlich über den Kreisauer Kreis publizierende Breslauer Rechtsprofessor Karol Jonca sowie der Pfarrer von Kreisau, Bolesław Kałuża, der sich seit langem aktiv um die deutsch-polnische Aussöhnung bemühte.

Bereits im Jahre 1985 wurde während eines dreitägigen Forums von Vertretern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik (21. bis 24. November 1985) die Frage besprochen, ob das Berghaus in Kreisau renoviert und als internationale Jugendbegegnungsstätte ausgebaut werden könnte. Doch erst spätere Bemühungen brachten erste wirkliche Erfolge. Auf Initiative einiger Publizist*innen und Wissenschaftler*innen aus Polen, den Niederlanden, den USA und der DDR traf man sich vom 2. bis 4. Juni 1989 auf einer Konferenz in Breslau zu dem Thema „Der Christ in der Gesellschaft“. Organisiert vom KIK Wrocław, dem Klub der Katholischen Intelligenz in Breslau, diskutierte man gemeinsam das Widerstandsdenken des Kreisauer Kreises und erörterte „die Möglichkeit, in Kreisau eine internationale Jugendbegegnungsstätte sowie ein Museum des europäischen Widerstandes gegen Hitlerdeutschland zu schaffen”. Am 4. Juni, dem Tag der ersten (halb-) freien Wahlen in Polen, besuchten die Konferenzteilnehmer auch Kreisau: „Der reine Zufall wollte es ..., dass das zweite [Seminar], im November [des Jahres 1989] ausgerechnet auf den Tag des Mauerfalls fiel, so als ob die Geschichte selbst der ganzen Sache gewogen sei” (Ewa Unger/KIK Breslau).

So genannte „Klubs der katholischen Intelligenz” gab es in Polen infolge des „Tauwetters” der 50er Jahre fünf größeren Städten. Von den kommunistischen Machthabern weitestgehend geduldet, hatten viele KIK-s Kontakt zu christlichen Gruppen in der DDR und der BRD (u.a. PAX Christi) und machten sich sowohl für den ökumenischen Gedanken als auch die deutsch-polnische Aussöhnung stark. Ihre Mitglieder standen in den 1980er Jahren der Solidarność nahe und unterstützten diese im Wahlkampf des Jahres 1989. Die KIKs leisteten einen wichtigen Beitrag für das Ende des Sozialismus in Polen. Es war der Klub der katholischen Intelligenz in Breslau, der in den 80er Jahren die Idee einer Begegnungs- und Gedenkstätte in Kreisau beriet und später, unter Mithilfe vieler weiterer engagierter Menschen, in die Tat umsetzte.

Im September 1989 war vielen vorausgegangenen Initiativen ein weiterer Erfolg beschieden. Vor dem Eingangstor zum Gut wurde ein Stein mit einer Gedenktafel aufgestellt, der Besucher*innen bis heute über folgendes informiert: „An diesem Ort trafen sich während der Zeit des Zweiten Weltkrieges deutsche Bürger im Widerstand gegen Hitler zu geheimen Beratungen. Im Gedenken an diese als „Kreisauer Kreis” bekannte Gruppe zum 50. Jahrestages des Kriegsausbruchs. September 1989.”

Kontroversen rund um den St.-Anna-Berg

Der St.-Anna-Berg (Góra św. Anny) wurde einst auch Sankt Georgenberg (Góra św. Jerzego) und Chelmberg (Góra Chełmska) genannt. Seit heidnischen Zeiten diente er als Kultstätte und Versammlungsort für Gläubige. Der Berg gilt auch als „heiliger Berg Oberschlesiens”. Von Erzbischof Alfons Nossol wird er ferner als „Berg des zuversichtlichen Gebetes und der Hoffnung” bezeichnet. In der katholischen Kirche in Oberschlesien hat es sich eingebürgert, Gläubigen in ihrer jeweiligen Muttersprache zu dienen. Deshalb auch die Entscheidung Kardinal Jerzy Kopps (1887-1914) und seines Nachfolgers, Kardinal Adolf Bertrams (1914-1945), der polnischen Minderheit den Zugang zur Seelsorge in polnischer Sprache zu erleichtern. Heilige Messen durften in polnischer Sprache gehalten werden, und religiöse Schriften konnten ungehindert polnischsprachige Gemeindemitglieder erreichen. Kardinal Bertram erließ sogar am 15. Dezember 1921 eine entsprechende Anordnung, die bis 1939 in Kraft blieb. Die Praxis, zweisprachige Messen abzuhalten, wurde durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen. Das Verbot wurde von polnischen kommunistischen Behörden nach dem Krieg fortgeführt. Diesmal waren davon Messen in deutscher Sprache betroffen. Das Bedürfnis, zweisprachige Messen zu feiern, stieß bei Bischof Alfons Nossol, dem Ordinarius von Oppeln (Opole), auf Zustimmung. Die erste deutschsprachige Messe fand auf dem St.-Anna-Berg am 04.06.1989 statt.

Die Zweisprachigkeit bei Kulthandlungen auf dem St.-Anna-Berg hat lange Tradition und reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Die Franziskanermönche feierten dort Gottesdienste für jede Sprachgruppe bereits seit 1861.

Im Juni 1983 besuchte Papst Johannes Paul II. den St.-Anna-Berg. In seiner Predigt wandte er sich an die Gläubigen mit diesen Worten: „Söhne und Töchter dieser Erde! Hört niemals auf, in der Sprache, die die Sprache Eurer Vorfahren war, zu rufen – hört niemals auf, zu Gott ‚Abba Vater!‘ zu rufen”.


21.06.1983 (Johannes Paul II. – Predigt auf dem St.-Anna-Berg)

„Bemüht Euch somit um Vergebung der Sünden und auch um die Vergebung der diesseitigen Strafen, soweit es möglich ist, bei richtiger innerer Haltung. Bemüht Euch auch, [aus den unendlichen Schätzen der Erlösung] Aussöhnung zu schöpfen: vor allem eine immer tiefere Aussöhnung mit Gott selbst in Jesus Christus und durch den Heiligen Geist, zugleich auch Aussöhnung mit Menschen, den nahestehenden und den fernen – den auf dieser Erde präsenten und den nichtpräsenten. Diese Erde bedarf nämlich – wie ich es heute bereits in Wrocław gesagt habe, unter Anknüpfung an das Werk der heiligen Hedwig – immer noch vielfältiger Aussöhnung”.

Das Dorf bis 1989

Kreisau samt dem ehemaligen Gut der Familie von Moltke unterschied sich im Jahr 1989 kaum von anderen niederschlesischen Dörfern. Die hier ansässige landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft („PGR”) nutzte sowohl die Felder rund um den Ort, wie auch die Wirtschaftsgebäude und -flächen des Gutes. Das Schloss wurde zwar in den unteren Geschossen von Familien bewohnt, befand sich aber in einem äußerst schlechten Zustand, ebenso wie die anderen Gebäude, die teils für die Haltung von Vieh genutzt wurden.

Kreisauer Kreis

Während viele deutsche Widerstandsgruppen vor allem einen Regimewechsel planten und entweder über den Aufruf zum Widerstand, die Vorbereitung eines Attentats oder andere Maßnahmen die Herrschaft der Nationalsozialisten beenden wollten, dachten die Mitglieder des später so genannten Kreisauer Kreises über die Gestalt eines neuen Deutschlands nach Hitler nach. Ihr Ziel war die „Neuordnung im Widerstand” - die Monographie des niederländischen Historikers Ger van Roon trägt diesen Titel.

Der „Kreisauer Kreis”, der sich zum Zentrum des bürgerlich zivilen Widerstands entwickelte, war keine festgefügte politische Vereinigung. Er bestand aus mehr als 20 Aktiven und ebenso vielen Sympathisanten und vereinte Sozialdemokraten und Konservative sowie Angehörige beider großen Konfessionen. Gemeinsam war ihnen die ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und der Wille, eine Neuordnung für Deutschland nach dem Ende des NS-Regimes zu entwickeln.

Zentrum des Kreises waren Helmuth James von Moltke, ein Urgroßneffe des preußischen Feldmarschalls, und Peter Yorck von Wartenburg, Sproß einer alten preußischen Adelsfamilie.

Die Kreisauer trafen sich meist in kleineren Gruppen in Moltkes Berliner Wohnung, in den verschiedenen Büros oder bei Yorcks in der Berliner Hortensienstraße. Da zumeist nur zwei oder drei Personen an solchen Treffen teilnahmen, wussten viele der Teilnehmer nicht wirklich, wer alles zum Kreis gehörte. Lediglich Moltke und Yorck hatten Kontakt zu allen Beteiligten und koordinierten die Diskussion der Konzepte. Auf den zahlreichen kleineren Treffen wurden Arbeitspapiere und Entwürfe in kleinem Kreis diskutiert, aufeinander abgestimmt und verändert. Nur auf drei größeren Sitzungen, die im Frühjahr und Herbst 1942 sowie im Frühjahr 1943 auf dem Gut Moltkes, im Berghaus in Kreisau stattfanden und an denen zwischen zehn und zwanzig Personen teilnahmen, besprach man die Entwürfe dann in einem größeren Kreis.

Die „Kreisauer” sahen sehr früh „nicht nur die Verwüstungen der Städte, sondern auch die entsetzlichen Verwüstungen in den Köpfen und Herzen der Menschen” (Moltke). Sie wussten, dass zu einer funktionierenden Demokratie die Teilhabe und das Verantwortungsbewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger gehört. Schon 1939 hat Moltke sein Demokratieverständnis in einem Text über die „Kleinen Gemeinschaften” formuliert:

„Gegenüber der großen Gemeinschaft, dem Staat oder etwaigen noch größeren Gemeinschaften, wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt ...”

Der Kontakt zum militärischen Widerstand war für die Kreisauer wichtig, da man sich hier den Sturz des Regimes erhoffte, allerdings nicht durch ein Attentat und die Tötung Hitlers, sondern durch dessen Gefangennahme. Die „Rechtsschänder” sollten vor Gericht gestellt und für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Nachdem einige dieser Versuche scheiterten, schlossen sich auch Mitglieder des Kreisauer Kreises, unter ihnen Adam von Trott zu Solz, Eugen Gerstenmaier und Julius Leber und Peter Yorck, der Verschwörung um Claus Schenk von Stauffenberg an, die am 20. Juli ein Attentat auf Hitler versuchte. Moltke lehnte ein solches Attentat ab, da er eine neue Dolchstoßlegende mit all ihren negativen Auswirkungen fürchtete.

Doch auch mit anderen Gruppen des deutschen Widerstands standen die Kreisauer in engem Kontakt, so etwa mit den Kirchen – u.a. mit Bischof Preysing in Berlin, Kardinal Faulhaber in München, Bischof Dietz in Fulda und dem Württemberger Landesbischof Wurm – und dem Goerdeler-Kreis, wenngleich dessen Nachkriegspläne für Deutschland und Europa in den Augen der Kreisauer zunächst nicht annehmbar waren.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurden zahlreiche Kreisauer verhaftet, acht von ihnen wurden bis Anfang 1945 im Berliner Gefängnis Plötzensee hingerichtet. Helmuth James von Moltke konnte eine Beteiligung am Attentat nicht nachgewiesen werden. Er wurde allein für das Denken über die Zukunft nach einem Sturz Hitlers verurteilt und am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. „… wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben”, schreibt Moltke in einem seiner letzten Briefe vom 10.1.1945 aus dem Gefängnis.

Schon nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 existierte der Kreisauer Kreis faktisch nicht mehr, und die einzelnen Kreisauer trafen sich lediglich unabhängig voneinander. Durch Peter Yorck wurde die Arbeit weitergeführt und mit den Vorbereitungen des militärischen Widerstandes für ein Attentat verbunden.

Wenn der Lauf der Geschichte auch eine andere Entwicklung genommen hat, bleibt es doch das wesentliche Verdienst der Kreisauer, über eine staatliche und gesellschaftliche Neuordnung Deutschlands innerhalb einer gesellschaftlich möglichst vielfältig zusammengesetzten Gruppe nachgedacht zu haben.

VORBEREITUNGEN AUF DIE MESSE

Vorbereitungen auf den Besuch. Vereinbarungen der Berater

Vor dem geplanten Besuch Kanzler Kohls kam es zu zahlreichen Gesprächen sowohl zwischen den beiden Regierungschefs als auch deren Beratern – Mieczysław Pszon und Horst Teltschik. Es wurden dabei viele grundlegende Themen besprochen, die Gegenstand der Gespräche in Polen sein sollten. Die Berater machten sich auch Gedanken über verschiedene Details, die den Besuch stören oder von der öffentlichen Meinung beider Völker und der Welt schlecht aufgenommen werden könnten. Besonderer Wert wurde dabei auf die Bestätigung der Unverletzlichkeit der Grenzen, die Regelung der Angelegenheiten der deutschen Minderheit und die Aufnahme der künftigen Zusammenarbeit gelegt. Um dies zu erreichen – darüber war man sich im Klaren –, müssten all die mit der Geschichte verbundenen Fragen geklärt werden. Es müsste also an die Schuld der Nationalsozialisten für das den Polen während des Zweiten Weltkrieges angetane Unrecht, aber auch an die Lage der Deutschen, die infolge von Flucht, Vertreibung und Aussiedlung ihre Heimat – rund zwei Millionen auch ihr Leben – verloren hatten, erinnert werden.

Vorbereitungen in Kreisau

Obwohl die Anreise einer Delegation in Kreisau bereits am 02. November erahnen ließ, dass dem Ort etwas großes bevor stünde, erhielt der Pfarrer der Gemeinde, Bolesław Kałuża, erst am Samstag den 04. November die offizielle Bestätigung, dass die Versöhnungsmesse zwischen Kohl und Mazowiecki nicht am Annaberg, sondern in Kreisau stattfinden würde. An diesem Tag traf Horst Teltschik, der Sonderbevollmächtigte des Kanzlers, mit einer deutschen Delegation in Kreisau ein, um die Vorbereitungen zu besprechen. Nachdem man sich die Kirchen in Grodziszcze (Gräditz) und Kreisau angeschaut hatte, beschloss man, dass die Messe unter freiem Himmel auf dem eh. Gut der von Moltkes stattfinden würde. Auch die ersten Reporter trafen an diesem Tag in Kreisau ein. Seit dem 06. November dann, einem Montag, arbeitete man Tag und Nacht und wurde dabei tatkräftig von den Einwohnern Kreisaus unterstützt.

Zu im Eiltempo durchzuführenden Maßnahmen, gehörte unter anderem die Beschaffung eines geeigneten Altars, den man sich bei der Solidarność in Świdnica auslieh. In Zusammenarbeit mit dem Klub der Katholischen Intelligenz Breslau, dem Wojewoden aus Wałbrzych/Waldenburg, dem Gemeindevorsitzenden und dem Stadtpräsidenten von Świdnica, der einheimischen Bevölkerung und sogar der Armee, brachte man nicht nur das Wirtschaftsgelände, sondern auch den Kapellenberg und das Berghaus notdürftig in Ordnung. Pfarrer Kałuża schreibt dazu: „In einigen Tagen versuchte man die kommunistischen Versäumnisse der letzten 45 Jahre aufzuarbeiten oder mindestens das Bild zu retuschieren”.

Wegen der kurzen Vorbereitungszeit musste auch der Plan, das Terrain zwischen Schloss und Pferdestall mit weißem Splitt aufzufüllen, aufgegeben werden und man entschied sich, die Fläche zu ebnen und leicht mit Sand zu bestreuen. Zudem mussten der Zugang zum Schloss und die anderen vom Einsturz gefährdeten Gebäude notdürftig abgesichert werden – eine der problematischsten Angelegenheiten, wie der Leiter der Vorbereitungen, Michał Czaplinski, beschrieb. Zudem musste eine Vielzahl von Auflagen und Beanstandungen seitens der deutschen und polnischen Behörden und der Presse ertragen werden: „ … Dann reiste die Equipe des polnischen Fernsehens an und sicherte sich die besten Plätze. Es folgten Beamte des Staatsschutzes mit einer Fülle von Sicherheitsproblemen; unter anderem verlangten sie … die Unterzeichnung einer Erklärung, dass keiner der die Plattform [für den Altar] tragenden Reifen platzt. Zuletzt erschien das deutsche Fernsehen mit seinen Einfällen und klagte, das polnische Fernsehen habe die besseren Positionen, … und überhaupt sei alles nicht so” (Michał Czaplinski).

Die heilige Anna, deren Bild die Messe schmücken sollte, führte zu einer gewissen Beunruhigung bei der deutschen Delegation, so dass sich Pfarrer Kałuża für die Heilige Hedwig entschied. Wie Pfarrer Kałuża in seinen Aufzeichnungen beschreibt, stellte das Auffinden einer Hedwigstatue eine besondere Herausforderung dar.

Die Heilige Hedwig von Andechs wurde 1174 geboren und im Alter von 12 Jahren mit dem Herzog von Schlesien und späterem Herzog von Polen, Heinrich I., verheiratet. Hedwig und Heinrich förderten die Vertiefung des christlichen Glaubens und die kulturelle Entwicklung Schlesiens. Vor allem Hedwig unterstützte die Kirche und half den Armen. Man sagt, sie wäre im Winter oft barfuss gegangen, weswegen sie auf vielen Bildnissen mit den Schuhen in den Händen dargestellt ist. Nachdem ihr Mann im Kampf gegen die Mongolen im Jahr 1238 und ihr Sohn bei der Schlacht um Wahlstatt 1241 gefallen waren, gründete sie an diesem Ort eine Benedektinerabtei. Im Jahre 1243 wurde sie in jenem Kloster in Trebnitz bestattet und im Jahre 1267 heilig gesprochen. Sie ist heute Schutzpatronin von Schlesien und im besonderen der Stadt Görlitz. Ihr Name steht gleichfalls für die Versöhnung von Deutschen und Polen.

Dank der Unterstützung der Diözese Wrocław und des Bischofs Jozef Pazdurs erhielt man dann aus dem Diözesanmuseum eine Hedwigstatue: „Schön, alt, lächelnd und erfreut – erfreut darüber, was sie sehen wird: den Kuss des Friedens und der Versöhnung beider Völker, die sie selbst in ihrem Herzen einst vereint hatte”. (Pf. Bolesław Kałuża)

VERLAUF DER MESSE IN KREISAU

Als erster kam nach Kreisau Ministerpräsident Mazowiecki, der nach Breslau mit der Bahn angereist war und den weiteren Teil des Weges mit dem Auto zurückgelegt hatte. Auf dem Platz in Kreisau erschien er eine halbe Stunde vor dem Bundeskanzler, der mit der ihn begleitenden Delegation und Journalisten nachts aus Warschau aufgebrochen war. Bevor sich der Bundeskanzler und der Ministerpräsident zum Platz aufmachten, begaben sie sich in die an die Mauern des Gutes angrenzende Sankt-Michael-Kirche, wo sie sich in Stille dem Gebet widmen und eine zu diesem Anlass vorbereitete Ausstellung über die Geschichte des Dorfes Kreisau und dessen berühmteste Bewohner anschauen konnten. Nachdem die beiden Regierungsvertreter sich ins Kirchenbuch eingetragen hatten, machten sie sich auf den Weg zu dem zentral gelegenen Platz, wo sie mit Ovationen von den dort versammelten Gläubigen empfangen wurden. Die Menge skandierte „Helmut!, Helmut!”. Es wurde auch Ministerpräsident Mazowiecki zugejubelt. Über der Menschenmenge wehten polnische und deutsche Fahnen sowie zahlreiche Spruchbänder in polnischer und deutscher Sprache. Vor dem Altar wurden die Gäste nach altem, polnischem Brauch mit Brot und Salz begrüßt. Grußworte an die Versammelten richtete Pfarrer Bolesław Kałuża. Nachdem alle ihre Plätze auf dem Altarpodium eingenommen hatten, warteten sie auf den Beginn des Gottesdienstes. In Richtung des Altars setzte sich ein Zug polnischer und deutscher Geistlicher in Bewegung. Die Messe wurde unter dem Vorsitz Bischof Alfons Nossols gefeiert. Auf der polnischen Seite wurde sie von Pfarrer Bolesław Kałuża und Weihbischof Tadeusz Rybak, der die Breslauer Diözese vertrat, auf der deutschen Seite – von Prälat Paul Bocklett und Adalbert Kurzeja (Abt der Benediktinerabtei Maria Lach) konzelebriert.

Die Messe wurde vereinbarungsgemäß in polnischer und deutscher Sprache gehalten. Die auf dem Platz versammelten Gläubigen hatten kleine Broschüren mit Gebeten und Gesängen in beiden Sprachen erhalten. Dadurch konnten sie an der Liturgie der Heiligen Messen aktiv teilnehmen.

Tagesgebet

Allmächtiger Gott, alle Völker haben eine gemeinsame Abstammung und bilden eine Familie. Durchdringe die Herzen aller Menschen mit Deiner Liebe und gib, dass sie nach Entfaltung ihrer Brüder verlangen. Mögen die Güter, die Du der ganzen Menschheit großzügig schenkst, der Entfaltung eines jeden Menschen dienen. Mögen in der menschlichen Gemeinschaft sämtliche Spaltungen vorübergehen und Gleichheit und Gerechtigkeit Einzug halten. Durch unseren Herrn Jesus Christus.

Grußworte richtete an die Versammelten Pfarrer Bolesław Kałuża.

Die einführende Ansprache hielt wiederum Bischof Tadeusz Rybak. Dabei betonte er, wie wichtig für Christen das gemeinsame Gebet und die Überwindung der Zerrissenheit zwischen Mensch und Gott, zugleich aber auch die Zerrissenheit zwischen Menschen und Völkern seien, insofern als sie die Gabe der Aussöhnung und des Friedens brächten.

„Ich heiße den Ministerpräsidenten, Herrn Tadeusz Mazowiecki, recht herzlich willkommen, den wir ‚unser Premier‘ zu nennen pflegen, weil er das Vertrauen der polnischen Bevölkerung genießt und das Land zu den Werten hinführt, für die unser Volk lange Jahre gekämpft hat und aus denen heraus es zu leben wünscht. Ich begrüße alle anwesenden Mitglieder der polnischen Regierung und die den Premier begleitenden Personen”.

„Es ist uns eine besondere Freude, heute in der hier versammelten christlichen Gemeinschaft mit großem Respekt Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl und alle Vertreter des Deutschen Volkes begrüßen zu dürfen, die hier zusammen mit Herrn Bundeskanzler aus der Bundesrepublik Deutschland angereist sind und die dauerhaft in Polen leben”.

„Von ganzem Herzen heiße ich Euch willkommen und grüße Euch, liebe Landsleute, und danke Euch, dass Ihr so zahlreich erschienen seid, um unsere polnische Solidarität im Glauben und in der Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, die nicht täuschen kann”.

Die am 12.11.1989 in Kreisau gehaltene Predigt

„Gemeinsam voranschreiten – versöhnt in Wahrheit und Liebe” – Bischof Alfons Nossol

In einer eigens zu diesem Anlass vorbereiteten Predigt betonte Bischof Nossol, wie wichtig für beide Völker Aussöhnung sei. Er räumte ein, dass die Gabe der gegenseitigen Vergebung ein Akt des Heroismus sein könne, dem es sich gleichwohl nach dem Geiste Christi zu stellen gilt, um ein neues Kapitel in den gegenseitigen Beziehungen aufschlagen zu können. Er wies darauf hin, dass man nicht verlangen könne, den Zweiten Weltkrieg – als ein schreckliches Kapitel im Leben vieler Menschen – zu vergessen. Vergebung sei aber ein unabdingbares Gebot des Glaubens und der christlichen Existenz. Deshalb gelte es aufrichtig zu rufen: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern”. Der Erzbischof erinnerte damit an die Botschaft der polnischen Bischöfe, die sich 1965 an die deutschen Bischöfe gewandt und dabei „wir vergeben und bitten um Vergebung” gesagt hatten. Dabei unterstrich er, dass sich der christliche Glaube auf Vergebung stütze.

Viel Platz räumte der Erzbischof auch Helmut James von Moltke ein. Als tiefgläubiger Christ habe sich dieser zu bestimmten Ideen bekannt. Unter ihrem Einfluss habe er danach gestrebt, den Menschen die Möglichkeit zu bieten, in einem Staat zu leben, der in die ethischen – auf christlichen Werten fußenden – Fundamente fest eingebettet sei. Hierbei führte er eine Erklärung des Kreisauer Kreises an, in der es hieß: „Im Christentum sehen wir die wertvollsten Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes, für die Überwindung des Hasses und der Lüge, für den Neubau des Abendlandes und das friedliche Zusammenarbeiten der Völker”. Die Mitglieder des Kreisauer Kreises hätten den Mut aufgebracht, selbst ihr Leben in die Waagschale zu werfen, wobei sie „einen Kampf” gegen den Feind fundamentaler Prinzipien des Einzelnen geführt hätten.

Bischof Alfons Nossol: „Liebe Mitchristen. Wir alle wissen sehr wohl, wie politisch schwierig dieser Besuch ist, obgleich er doch Nachbarn mitten im Herzen Europas betrifft. Das Bewusstsein, dass auf uns die Geschichte lastet, lässt sich [aber] kaum einfach so beseitigen”.

Der nächste Programmpunkt war das gemeinsam von Vertretern der Evangelischen Kirche und der Katholischen Kirche gesprochene Allgemeine Gebet, das mit folgenden Worten begann:

„Belebt vom Wunsche des gegenseitigen Verständnisses und der Eintracht bitten wir Gott, den Vater aller Menschen und Völker, um die Gabe der Aussöhnung, des Friedens und der Zusammenarbeit zwischen den mit uns benachbarten Völkern”. Bischof Heine-Georg Binder wandte sich an alle versammelten Protestanten und Christen orthodoxer Konfession mit einem herzlichen Gruß und erinnerte an die Ostdenkschrift der EKD von 1965. Im Folgenden dessen Auszüge:

„Die ethischen Erwägungen führen zu der notwendigen Konsequenz, in kla­rer Erkenntnis der gegenseitigen Schuld und ohne Sanktionierung von Un­recht, das nicht sanktioniert werden darf, das Verhältnis der Völker, namentlich das zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk, neu zu ordnen und dabei Begriff und Sache der Versöhnung auch in das politische Handeln als einen unentbehrlichen Faktor einzuführen”.

Prälat Paul Bocklet erinnerte auch an den Briefwechsel von 1965 zwischen Geistlichen aus Polen und Deutschland. Es war seiner Meinung nach ein Beispiel für den Glauben an den Beginn des Dialogs und der Aussöhnung. Er wandte sich auch an die Gläubigen mit der Bitte an Gott, Kraft und Mut zur Aussöhnung zu schenken. Er erinnerte an die Millionen von Opfern des Nationalsozialismus, die im Ergebnis einer von Menschenverachtung und Menschenhass erfüllten Politik ums Leben gekommen sind. Dabei erwähnte er auch diejenigen, die infolge von Besatzung, Flucht und Vertreibung umgekommen sind.

„Herr, mögen deren Opfer uns dazu ermahnen, zwischen unseren Völkern nie wieder Feindschaft aufkommen zu lassen. Allein Du kannst unermessliche Schuld vergeben. Führe uns auf den Weg der Aussöhnung”. In Kreisau, an dem Ort, an dem der Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewirkt habe, sei insbesondere eben derjenigen zu gedenken, die Opfer von Verfolgungen geworden seien, weil sie es gewagt hätten, sich einem verbrecherischen Regime entgegenzustellen. Stellvertretend für das katholische Christentum wurden an dieser Stelle Pater Alfred Delp und Maksymilian Kolbe, für das evangelische Christentum hingegen Juliusz Bursche, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Polen, sowie Helmuth James von Moltke genannt.

„Herr, möge Dein Licht ihnen leuchten, uns gib wiederum die Kraft, ihrem Beispiel zu folgen”.

Ein Gebet wurde auch für diejenigen gesprochen, die noch in dieser Welt leben und die gegenüber ihren Nächsten unmittelbar schuldig geworden sind:

„Führe Sie, o Herr, zur Erkenntnis ihrer Schuld. Verleihe ihnen die Kraft, ihre Verfehlungen anzuerkennen. Gib, dass sie bereit werden, um Vergebung zu bitten, und für deren Annahme offen sind”.

„Lasset uns für das polnische und deutsche Volk beten: Gib uns, o Herr, die Kraft, aus dem Schatten der Vergangenheit zu treten, und lass uns, gegenseitiges Verständnis finden. Gib, dass sich neue Horizonte der Hoffnung – durch polnisch-deutschen Jugendaustausch – abzeichnen”.

Es wurden Gebete für Völker Europas, für das Ende der Spaltung zwischen Ost und West, für die Überwindung von Differenzen und für das Streben nach Einheit unter Berücksichtigung von kulturellen Unterschieden einzelner Völker angestimmt. Diese sollten demnach das Recht zum Leben haben und frei von Katastrohen und Kriegen sein. Sie sollten auch die Kraft aufbringen, gegenseitige Vorurteile und Differenzen zu überwinden, die Gabe haben, „Hunger, Armut und Elend von Flüchtigen” zu lindern, und die Bereitschaft aufweisen, Hilfe zu bringen.

Das Allgemeine Gebet wurde von Vertretern der Katholischen Kirche in Polen gesprochen. Es war im Wesentlichen an die Bitte um die Gabe der Aussöhnung und des Friedens angelehnt. Nach dem Eucharistischen Gebet „Um die Versöhnung” gab man einander ein Zeichen des Friedens. Kanzler Kohl und Premier Mazowiecki hielten anschließend Ansprachen zum Thema Aussöhnung zwischen den Völkern. „Liebe Freunde aus Polen, liebe Freunde aus Deutschland! Liebe Freunde, Herr Bundeskanzler, verehrte Bischöfe!” Kanzler Kohl hob die Bedeutung des historischen Ortes hervor, an dem die Messe stattfand, und bezeichnete ihn als „Herz Europas”. Er wies auch auf die in der Predigt gesprochenen Worte hin, in denen von der Notwendigkeit die Rede war, Lehren aus der Geschichte zu ziehen und den Weg zu einem friedlichen Miteinander beider Völker vorzugeben. Premier Tadeusz Mazowiecki machte wiederum auf die Notwendigkeit der Brüderlichkeit aufmerksam, wobei er auch die Verdienste des Kreisauer Kreises auf diesem Gebiet betonte und die Hoffnung zum Ausdruck brachte, die soeben stattgefundene Heilige Messe werde helfen, jene Brüderlichkeit zu stärken, und die Kraft verleihen, sie unter den Völkern zu verbreiten. Nach dem Gottesdienst besprachen die beiden Regierungschefs auch politische und wirtschaftliche Themen. Premier Mazowiecki merkte dabei an, dass für Polen die Auszahlung einer Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter wichtig wäre. Zugleich zeigte er Verständnis dafür, dass der Kanzlerbesuch wegen der Ereignisse in Berlin unterbrochen werden musste.

FOLGEN

Gemeinsame Erklärung

Das wichtigste Dokument, das den Besuch des Bundeskanzlers in Polen krönte, war die von den beiden Regierungschefs am 14.11.1989 in Warschau unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung”.

Es wurde darin Bezug auf die historischen Ereignisse genommen, die im 20. Jahrhundert einem Zusammenwirken beider Völker im Wege standen. Mit der Klärung dieser Fragen wurde auch der Plan einer engen Zusammenarbeit in der Zukunft umrissen. So sollte sie alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens beider Länder umfassen. Der gute Wille beider Regierungen sowie der Wunsch, bisherige Einschränkungen aufzuheben, kündigten eine wesentliche Wende in den deutsch-polnischen Beziehungen an.

Der Vertrag vom 7. Dezember 1970 wurde dabei als ein festes Fundament für die Normalisierung beiderseitiger Beziehungen betrachtet.

Art. 52

Die polnische Seite erklärt ihre Bereitschaft, dass von Seiten der Bundesrepublik Deutschland eine nationale Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz eingerichtet wird; dass am Schloss/Berghaus Kreisau sowie am ehemaligen Hauptquartier bei Rastenburg Gedenktafeln an den deutschen Widerstand angebracht werden; und dass am Geburtshaus von Kurt Schumacher in Kulm eine Gedenktafel angebracht wird.

Weitere, nicht minder wichtige Bestimmungen konzentrierten sich auf gesonderte Abkommen über Jugendaustausch. Es wurde dabei auf die Bedeutung des Beitrags der jungen Generation zur Gestaltung „einer friedlichen Zukunft Europas” hingewiesen. Die Umsetzung der geplanten Ziele sollte durch – in einen Fond zur Finanzierung von Projekten gemeinsamen Interesses in Polen einzubringende – Mittel sichergestellt werden. Diese sollten aus rückständigen Kreditverpflichtungen von 1975 kommen und insbesondere für „den Jugendaustauch sowie die Errichtung von Jugendherbergen und -begegnungsstätten” sowie für „Restaurierung und Erhaltung von Kulturdenkmälern von europäischer historischer Bedeutung” aufgewendet werden.

Art. 78

Sie wissen sich bei der zukunftsgewandten Weiterentwicklung ihrer Beziehungen in Übereinstimmung mit dem tiefen und langgehegten Wunsch ihrer Völker, durch Verständigung und Versöhnung die Wunden der Vergangenheit zu heilen, das gegenseitige Vertrauen zu festigen und gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten.