Kreisauer Kreis

Der Kreisauer Kreis nimmt einen besonderen Platz innerhalb des deutschen Widerstands gegen die nationalsozialistische Regierung ein. Er war im Vergleich zu anderen Gruppen, die sich gegen den Nationalsozialismus engagierten, ein außergewöhnlich heterogener Zusammenschluss von Menschen. Der Kreisauer Kreis setzte sich aus Intellektuellen, Beamten, Geistlichen und gesellschaftlich aktiven Menschen zusammen, die sehr unterschiedliche politische und weltanschauliche Einstellungen in sich trugen. Die Mitglieder des Kreisauer Kreises entwarfen über alles Trennende hinweg gemeinsam ein einmaliges politisches, gesellschaftliches, wirtschaftliches und kulturelles Programm für ein Nachkriegsdeutschland und -europa. Ein bedeutender Teil dieses Programms war die Idee einer engen Zusammenarbeit aller europäischer Nationen innerhalb eines politisch vereinigten Kontinents.Der Kreisauer Kreis entstand im Jahr 1940 als eine Art Netzwerk, das sich durch die Initiative zweier Menschen herausgebildet hatte. Diese beiden waren Helmuth James von Moltke, der Besitzer eines Gotshofes in Niederschlesien, sowie Peter Yorck von Wartenburg. Die Gruppe besaß keine konkrete Struktur und keinen Namen („Kreisauer Kreis” wurde sie erst durch die Gestapo genannt”). Aber sie versammelte Vertreter verschiedenster Millieus und Weltanschauungen, die sich mit der in Deutschland vorherrschenden Situation sowie mit den Handlungen der deutschen Truppen nicht abfinden wollten . Und sie entschieden sich gegen das NS-Regime Widerspruch einzulegen.

Die Mitglieder der Gruppe waren sich der Tatsache bewusst, dass sie weder über Mittel noch Möglichkeiten verfügten, um ein Attentat auf die Befehlshaber des Regimes zu verüben, und schon gar nicht, um einen gewaltsamen Umsturz anzustoßen. Sie glaubten daran, dass solch eine Lösung nur durch das Militär selbst initiiert werden könne. Sie widmeten sich vielmehr der Ausarbeitung eines Strukturprogramms für ein späteres Nachkriegsdeutschland. Sie glaubten daran, dass die militärische Niederlage der Nationalsozialisten unausweichlich sein würde und das ein Systemwechsel des Landes von Innen heraus möglich war.

Es wurden Hunderte Treffen abgehalten, bei welchen aus Angst vor einer Entdeckung durch den Sicherheitdienst nur jeweils einige wenige Menschen teilnahmen. Nur drei mal traf sich die Gruppe in einer größeren Runde. Diese Treffen wurden auf genau jenem Gutshof von Helmuth James von Moltke in Kreisau abgehalten. Während dieser Zeit arbeiteten sie den Plan einer Verfassung für ein zukünftiges demokratisches Deutschland aus. Sie bereiteten ebenfalls ein Konzept für die Bestrafung von Kriegsverbrechern vor und stellten Überlegungen über Entschädigungen für die durch das NS-Regime angegriffenen und besetzten Länder in Europa an. Ein weiterer Punkt ihrer Überlegungen war die Schaffung eines zukünftigen, vereinten Europas, das einen Ausbruch weiterer Konflikte verhindern sollte.

Die Vetreter des Kreisauer Kreises unterhielten Kontakte zu Mitgliedern anderer Oppositionsgruppen in den besetzten Ländern Frankreich, Belgien, Norwegen und den Niederlanden, und versuchten erfolglos, Unterstützung von den Alliierten zu erwirken.

Für ihre oppositionellen Tätigkeiten sowie für ihr späteres Engagement in der Vorbereitung des durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg geplanten Attentats auf Adolf Hitler (20. Juli 1944) wurden zehn Mitglieder des Kreisauer Kreises zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde gegen acht von ihnen verstreckt- unter ihnen Helmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg.

 

Drei Treffen in Kreisau

Die Mitglieder des Kreisauer Kreises trafen sich als Vorsichtsmaßnahme, um nicht vom Sicherheitsdienst enttarnt zu werden (einige von ihnen wurden von der Gestapo überwacht), ausschließlich in kleineren Gruppen, die aus zwei, drei oder vier Leuten bestanden. Nur drei mal trafen sie sich in einer größeren Runde. Diese Treffen wurden auf genau jenem Gutshof von Helmuth James von Moltke in Kreisau abgehalten.

Das erste Kreisauer Treffen - 22.-25.05.1942

Das erste Kreisauer Treffen fand vom 22. bis 25. Mai 1942, d.h. an Pfingsten, statt. Dies sollte dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Sicherheitsdienstes nicht auf die Gruppe zu lenken. Zum ersten Mal trafen sich damals in dieser größeren Runde: Helmuth James und Freya von Moltke, Peter und Marion Yorck von Wartenburg, Theodor Steltzer, Augustin Rösch, Hans Peters, Adolf Reichwein, Harald Poelchau, Hans Lukaschek, Asta Moltke (die Schwester von Helmuth James), Irene Yorck von Wartenburg (die Schwester von Peter).

Aus Angst vor einer Aufdeckung der Themen, die die Gruppe damals diskutierte, wurden auch Thematiken besprochen, die keinen ersichtlichen politischen Kontext hatten. Darunter war beispielsweise: die Rolle des Christentums in der Gesellschaft, die Beziehung zwischen Staat und Kirche sowie die Frage der Erziehung, des Schulwesens und der Universitäten.

Die Vorsicht, mit der die zu besprechenden Themen und der Termin für das Treffen ausgewählt worden waren, sorgten dafür, dass die Gestapo selbst nach der Zerschlagung der Gruppe 1944 nichts über das erste Kreisauer Treffen erfuhr.

Das erste Kreisauer Treffen hatte eine entscheidene Bedeutung für die weiteren Tätigkeiten der um von Moltke und Yorck von Wartenburg versammelten Gruppe. Der Erfolg dieses Treffens wurde zum Impuls für die weitere intensive Arbeit am Programm für ein zukünftiges, demokratisches Deutschland.

Der Ort dieser drei großen Treffen auf dem Gutshof von Helmuth James von Moltke bewirkte außerdem, dass die Gestapo bereits während der Ermittlungen 1944 die Gruppe mit dem Namen „Kreisauer Kreis” betitelte.

Das zweite Kreisauer Treffen - 16.-18.10.1942

Das zweite Treffen des Kreisauer Kreises fand schon bald nach dem ersten auf dem Anwesen der Familie von Moltke statt, vom 16. bis zum 18. Oktober 1942.

Nach dem es gelungen war, das erste Treffen komplett geheim zu halten, wurden für das zweite Trefen nun sensibelere Themen gewählt, die klar auf die Gestaltung eines politischen Programms für das zukünftige Deutschland nach Ende des Krieges zielten.

Auch der Teilnehmerkreis wurde erweitert: zu einigen Personen, die bereits am ersten Treffen teilgenommen hatten - Helmuth James und Freya von Moltke, Peter und Marion Yorck von Wartenburg, Theodor Steltzer und Hans Peters – stießen weitere hinzu, die auch weitere gesellschaftliche Milieus repräsentierten: Der Theologe Eugen Gerstenmaier, der Jesuit Alfred Delp, der Ökonom Horst von Einsiedel, sowie die SPD Politiker Theodor Haubach und Hermann Maaß.

Bei diesem zweiten Treffen standen Themen im Mittelpunkt, die für die Gestaltung des zukünftigen Deutschlands nach dem Nationalsozialismus von zentraler Bedeutung waren – und die, wäre das Treffen bekannt geworden, für alle Teilnehmer außerordentlich gefährlich gewesen wären, denn die diskutierten Projekte betrafen den Aufbau einer Bürgergesellschaft, den Staatsaufbau und die Wirtschaftsordnung.

Diese Themenwahl war kein Zufall. Die Mitglieder des Kreisauer Kreises zogen Schlüsse aus der jüngsten Vergangenheit Deutschlands und wollten auf solche Art und Weise den Staat organisieren, dass es nie wieder zu einer Zerschlagung der demokratischen Strukturen, der Schwächung der Bürgerverantwortung für das Land und einen – beides verstärkenden – wirtschaftlichen Zusammenbruch kommen könnte. Sie waren sich darüber einig, dass gerade diese Faktoren für die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten von zentraler Bedeutung gewesen waren.

Das zweite Kreisauer Treffen der Gruppe war ein Schlüsselmoment in der Arbeit der Gruppe. Mit ihm wurde deutlich, in welche Richtung die weitere Arbeit gehen sollte.

Aus heutiger Perspektive kann man nicht umhin den damaligen Bemühungen, Gesellschaft und staatliche Strukturen so zu gestalten, dass eine Übernahme der der Macht durch extreme Gruppen faktisch unmöglich ist, Anerkennung zu zollen.

Das dritte Kreisauer Treffen - 12.-14.06.1943

Das dritte Treffen des Kreisauer Kreises auf dem Gut der Familie von Moltke fand in der Zeit vom 12. bis 14. Juni 1943 statt. Den Vorwand dazu lieferten – ähnlich wie das bei dem ersten Treffen der Fall war – die Pfingstfeiertage.

Zu den Teilnehmern gehörten Helmuth James und Freya von Moltke, Peter, Marion und Irene von Yorck, Adam von Trott zu Solz, Eugene Gerstenmeier, Hermann Maass sowie Pater Alfred Delp.

Die Tagung fand nach einer längeren Pause und in einer neuen außenpolitischen Lage statt, die nicht ohne Einfluss auf das Thema der Beratungen blieb. Die Niederlage der deutschen Truppen bei Stalingrad (im Februar 1943), die auf den unausweichlichen Zusammenbruch der Ostfront hindeutete, führte dazu, dass die Kreisauer auf das weitere Schicksal Deutschlands aus einer anderen Perspektive blicken mussten.

Eben deshalb lag der Hauptschwerpunkt des Treffens bei der Außenpolitik (darunter auch der Politik gegenüber Alliierten, die Deutschland besetzen würden) und der Wirtschaftspolitik in der Nachkriegszeit. Zum ersten Mal wurden zudem so eindeutig die Regeln besprochen, nach denen die von Deutschen begangenen Verbrechen zu verfolgen wären.

Besondere Aufmerksamkeit fesselt aus heutiger Sicht die damals aufgegriffene Frage der Bestrafung von NS-Verbrechern. Die Mitglieder des Kreisauer Kreises sprachen sich eindeutig dafür aus, dass sich die Deutschen selbst mit den von ihnen verübten Verbrechen auseinandersetzen müssten, nur so würde es nämlich möglich sein, eine wahrhaft demokratische Zivilgesellschaft aufzubauen.

Im Bewusstsein der Verbrechen, derer sich Deutsche gegenüber Juden, Polen und anderen Völkern des besetzten Europas schuldig gemacht hatten, erachteten sie es zugleich für unerlässlich, mit ganzer Entschlossenheit und Strenge die Aufgabe auf sich zu nehmen, all jene zur Rechenschaft zu ziehen, die gegen die Menschenrechte verstoßen hatten – ohne dass es möglich wäre, sich hinter einem Befehl oder dem damals geltenden Staatsrecht zu verstecken.

Das dritte Treffen in Kreisau war zugleich das letzte, das die Mitglieder des Kreisauer Kreises auf dem Gut der Familie von Moltke abhielten. Die laufenden Verpflichtungen beanspruchten die Kreisauer dermaßen, dass sie sich nicht mehr dazu entschlossen, weitere Beratungen in einer größeren Runde zu organisieren.

Im Januar 1944 wurde Helmuth James von Moltke verhaftet, so dass sich die Gruppe gezwungen sah, ein gänzlich neues Vorgehensmodell anzunehmen.

Kreisau blieb dennoch für immer der Ort, mit dem die Gruppe eine Verbindung einging und deren Mitglieder den Mut hatten, sich dem Bösen zu widersetzen, obwohl sie sich der ihnen drohenden Konsequenzen im Klaren waren.