Das ehemalige Gut der Familie von Moltke im schlesischen Kreisau bei Schweidnitz gehört zweifelsohne zu den wichtigeren Orten sowohl des europäischen als auch des deutsch-polnischen kollektiven Gedächtnisses. Eben hier versammelten sich während des Zweiten Weltkriegs deutsche Gegner des Hitlerregimes, die später als Kreisauer Kreis bezeichnet werden sollten, und im November 1989 gaben sich hier der erste Ministerpräsident des freien Polen, Tadeusz Mazowiecki, und der Kanzler des sich wiedervereinigenden und damit auch die vollständige Souveränität erlangenden Deutschlands, Helmut Kohl, bei der von Bischof Alfons Nossol zelebrierten Messe das christliche Zeichen des Friedens und der Vergebung. Eben hier kann die einzigartige Ausstellung "Mut und Aussöhnung", die den Weg zeigt, den die beiden Nachbarvölker in den vergangenen Jahrzehnten seit der Tragödie des Zweiten Weltkriegs zurückgelegt haben, besichtigt werden. Spricht man über diesen schlesischen Ort, so können auch die zweite, ältere Ausstellung, die den breit verstandenen zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Totalitarismen veranschaulichte, oder das auf dem Hof vor dem Schloss stehende Fragment der Berliner Mauer sowie das Internationale Jugend- und Erwachsenenbegegnungszentrum, zu dessen Entstehung die bereits erwähnte „Versöhnungsmesse“ von 1989 einen wichtigen Impuls gab, nicht unerwähnt bleiben. Kreisau ist somit, wie eingangs angedeutet, ein mehrdimensionaler, europäischer (ja, sogar über Europa hinausgehender, z.B. auch koreanisch-japanischer) Ort der Begegnung, des Dialogs und der Erinnerung an das Freiheitsstreben sowie ein Symbol für den Widerstand gegen totalitäre und autoritäre Systeme.
*Der Text wurde veröffentlicht in: "Das (un)sichtbare Erbe. Gedanken über den Kreisauer Kreis", Tomasz Skonieczny (Hg.), Wrocław 2017.